Seit 2007 bin ich in Deutschland beruflich wie privat viel unterwegs gewesen - und das hauptsächlich mit der Deutschen Bahn. Entsprechend hat sich eine Art
Hass-Liebe zwischen mir und diesem Verkehrsmittel entwickelt. Aber lest selbst.
Vor etwa dreißig Jahren war eine Reisegeschwindigkeit von über 300 km/h Zukunftsmusik und die Strecke Hannover - München in vier Stunden eine Wunschvorstellung. Heute beschwert man sich über zehn Minuten Verspätung! Auch darin mag die Faszination meinerseits für die "weiße Schlange" begründet sein, sodass ich mich trotz der unzähligen Male und vielen Stunden darin immer noch umdrehe, sobald eine in "freier Wildbahn" an mir vorbeischießt. Mit einer Geschwindigkeit von über 320 km/h im ICE 3 zwischen Köln und Frankfurt/Flughafen zu fahren ist einfach großartig! Vor allem wenn man vorne raus schauen kann. Allerdings ist hier Vorsicht geboten, das ist nicht jedermanns Sache. Wer Achterbahnen meidet, sollte auch hier lieber hinten Platz nehmen ...
Theorie und Praxis
Zudem fühle ich mich wirklich sehr wohl in dem durchdachten Ambiente des ICE mit seinen ergonomisch geformten Schalensitzen, den Glastüren, hellen (Holz)Verkleidungen, Übersichtsmonitoren mit Geschwindigkeitsanzeige und breiten Panoramafenstern. Aus rumpelnden und schaukelnden Waggons früherer Zeiten - und hiermit meine ich die alten Regionalzüge - ist ein sanftes und leieses Dahingleiten geworden, in dem man sich entspannt zurück lehnen, die vorbeiziehende Landschaft anschauen, Musik hören, am Laptop arbeiten, einen Film anschauen oder ein gutes Buch lesen kann.
So zumindest in der Theorie. Auch wenn ich wirklich viele Bücher gelesen habe, die Realität sieht dank nicht definierter "Störungen im Betriebsablauf", Signalfehlstellungen, Suiziden, defekter Klimaanlagen, Rinder- oder Schafherden sowie Kindern im Gleisbett, Böschungsbränden, Verspätungen und nervenden Sitznachbarn bzw. Reisegruppen leider anders aus. Entsprechend bin ich eigentlich jedes Mal aufs Neue gespannt, mit was mich die Deutsche Bahn oder meine werten Mitreisenden überraschen ...
Reisetipp
Wenn ihr früh genug bucht und im Special 1. Klasse zum selben Preis fahren könnt, dann macht das. Der Sitzabstand ist weitaus
angenehmer, ihr habt genügend Platz für größeres Gepäck (ein großes Problem in der 2. Klasse!), es gibt Zeitungen & Knabbereien sowie Bedienung am Platz und ihr habt selbst an Tagen mit
höherem Reiseaufkommen noch relativ gute Chancen bei der Sitzplatzwahl. Zudem geht es hier nicht so wuselig zu.
Wenige Minuten später ...
Verspätungen bis zu zehn Minuten gehören bei Bahnreisen für mich zum Fahrplan. Ich war exakt dreimal wirklich punktgenau in Hannover, zweimal in München und siebenmal in Stuttgart. Dabei sollte man wissen, bei der Bahn wird ein Halt als pünktlich gewertet, wenn die planmäßige Ankunftszeit um weniger als 6 bzw. 16 Minuten überschritten wurde.
In der Praxis heißt es, dass man während der Fahrt an jedem Bahnhof die Verspätung im Blick behält und mit jeder Minute mehr ein
klein wenig nervöser wird, ob man seinen Anschlusszug noch bekommt. Mit entspanntem Reisen hat das dann noch wenig zu tun. Der Sprint nach der Ankunft zum Nachbargleis oder zur S-Bahn - gar
nicht so leicht mit Businessoutfit und Higheels - wird somit fast schon obligatorisch. Wie gut, dass ich immerhin meist mit leichtem Gepäck reiste. By the way, eine gute Gelegenheit, mich
hiermit bei allen zu entschuldigen, die ich in Bahnhöfen deutschlandweit über den Haufen gerannt habe.
Manchmal ergeben sich aus Verspätungskonstellationen lustige Situationen. Ich kam mal von der Möbelmesse in Köln, musste in Mannheim umsteigen und wir hatten so viel Verspätung, dass ich noch etwa eine Minute zum Umsteigen hatte. Immerhin stand der Zug gleich gegenüber. Ich positionierte mich also an der Tür, diese ging auf - und ich machte einen Bauchklatscher auf den Bahnsteig. Was war passiert? Das Gegengewicht der Tür war weg und als ich den Schritt nach vorne zum Aussteigen machte, drückten die schweren Unterlagen von der Messe, die ich im Rucksack sowie in einer weiteren Umhängetasche hatte, mich schlichtweg nach unten. Die verdutzten Leute waren jedoch sehr hilfsbereit und halfen mir hoch. Ich rappelte mich etwas benebelt auf und erreichte gerade noch den ICE, bevor sich die Tür schloß. Ein Großteil winkte mir dann sogar noch schmunzelnd hinterher. So schnell wird man zum Unterhaltungsprogramm am Gleis.
Tipp für Umstiege:
So wenig Umstiege wie möglich bis zu eurem Ziel buchen und wenn, pro Umstieg mindestens (!) 15 Minuten einkalkulieren.
Ist dieser Platz noch frei?
Mit meiner Pendelei München - Hannover sowie vorher zwischen Stuttgart - Hannover gehörte ich recht schnell zum "erlauchten" Kreis der BahnComfort-Kunden (2.000 Punkte). Ein kleines Stück Plastik erlaubt mir damit Zutritt zu den Lounges an den großen Bahnhöfen - sehr angenehm - und ich darf die separat ausgewiesenen Sitzplätze in den Fernzügen in Anspruch nehmen. Wer sich also schon immer mal gefragt hat, warum sich an bestimmten Stellen am Bahnsteig vor Einfahrt des Zuges zielsicher kleine Menschentrauben mit Ellbogenmentalität bilden, findet darin begründet die Antwort - sie möchten einen dieser Plätze ergattern.
Eigentlich eine schöne Idee für Vielfahrer, diese Comfort-Plätze, die sich in der Realität jedoch als "unausgereift" erweist, denn besonders an Feiertagen etc.
stehen die Chancen gleich Null einen solchen Platz zu ergattern. Hier gilt eine ganz einfache Regel: Ist der Zug voll, sind diese Plätze auch voll.
Super! An diesen "Extrem-Tagen" greife sogar ich auf eine Sitzplatzreservierung zurück oder ein mit Bonus-Punkten gesammeltes Upgrade in die First-Class. Für Fahrten ohne
Sitzplatzreservierung - also fast alle, denn diese finde ich mit 4,50 € pro Strecke einfach unverschämt überteuert! - war eigentlich immer das Schwerbehindertenabteil (erster Wagen und
erstes Abteil hinter dem Bistro) mein Geheimtipp. Diese Plätze sind nicht reservierbar, man muss sie lediglich freigeben, wenn jemand mit Ausweis kommt. Nun, wann kommen schon sechs Personen mit
Ausweis auf einmal? Zum Beispiel an verlängerten Wochenenden ...
Tipp zum Reisetag
Freitag- und Sonntagnachmittag sind die Pendler unterwegs, an verlängerten Wochenenden, Ferien etc. kommen Urlauber hinzu und die Züge sind rappelvoll. Fahrt am
besten entgegen dieser Zeiten, also vielleicht am Montagmorgen statt Sonntagabend oder am Donnerstagabend statt am Freitag. In der Woche habt ihr nämlich meist freie Auswahl bei den
Plätzen.
Großraum oder Abteil?
Ob man lieber Großraum oder Abteil fährt ist jedem selbst überlassen. Ich bin eine Zeit lang gerne Abteil gefahren, weil man hier
mit sechs Personen eine leisere Grundkulisse hat und durch den privateren Rahmen eher mit Mitreisenden ins Gespräch kommt. Letzteres muss man aber auch wollen bzw. in der Stimmung
sein.
Das Reisen im Abteil fand ich nett bis zu einem Tag im Herbst, als die restlichen fünf Plätze von einer Familie mit zwei Kindern
samt Oma und zwei ausgewachsenen Bernhardinern aufgefüllt wurde, die aus dem Abteil schnell eine enge klaustrophobische Winzkabine gemacht haben und entsprechend des Regenwetters draußen -
pardon - gemüffelt haben. Ich habe es exakt sieben Minuten ausgehalten, bis ich fluchtartig meinen reservierten (!) Platz aufgegeben und mir etwas Neues gesucht habe ... Seitdem reise
ich in der "Anonymität" des Großraums.
Tipps zum Sitzplatz
Wer mit heilen Ellbogen am Zielort ankommen möchte, sollte nie die Gangplätze direkt hinter den Glastüren am Einstieg wählen - absolut jeder, ob mit großem Gepäck oder ohne rempelt hier die Sitzenden an. Fensterplätze sind nur angenehm auf der rechten Seite in Fahrtrichtung - es ist nicht sehr angenehm, wenn einem bei hoher Geschwindigkeit die Züge auf der Gegenspur entgegen kommen.
Platzreihen am Anfang/Ende oder in der Mitte mit Garderobeneinbau im Rücken wählen, dann habt ihr niemanden, der nervig am Sitz rumruckelt und euch beim Schlummern stört.
Guten Appetit!
Ich kenne Leute, die sind überzeugt, dass es im IC/ICE-Restaurant das beste Frühstück überhaupt gibt. Obwohl die Bahn eine große Initiative mit Sternekochgerichten gestartet hat, so erreichte das Essen dort für mich nie mehr als Bistro-Standard. Aber was soll man von solch einer Mini-Küche auch erwarten, wo gerade genug Platz zum Aufwärmen ist? Meine Vermutung des "großartigen Geschmacks" liegt eher darin begründet, dass man sein Chili bei teilweise über 200 km/h löffeln kann. Überhaupt ist das Essen im Zug so eine Sache. Ich habe bei jeder Fahrt etwas zu trinken und eine Kleinigkeit dabei. Wer will schon bei unvorhergesehenen Halten bei hochsommerlichen Temperaturen und mal wieder defekter Klimaanlage vor sich hin dursten?! Essbares allerdings eher in Form eines Salats, eines Apfels oder einer klassischen "Stulle". Alles andere ist für mich eine Zumutung. Es gibt nichts ekligeres, als wenn sich der Dunst eines Döners oder einer Salami-Pizza über den Wagen legt. An dieser Stelle ein kleiner Appell an Mitreisende: Ich esse auch gerne mal Fast Food und die vielen Buden am Bahnhof sind auch wirklich verlockend, aber bitte greift doch auf etwas geruchsneutrales zurück, wenn ihr Zug fahrt. Zudem sollte man wohl mal darauf hinweisen, dass die Klapptische nicht unbegrenzt Platz bieten. Das musste auch ein etwas beleibterer Herr neben mir mal feststellen, der ein ganzes Menü vom Chinesen in diversen Pappschachteln auspackte. Nun, bei der ersten, etwas schrofferen Bremsung landete die Suppe auf Hemd & Hose. Für einen Salat und ein kleines Sektchen reicht der Platz hingegen jedoch allemal. ;)
Reisetipp für Proviant
Packt euch für längere Fahrten unbedingt etwas zu trinken ein. Etwas zu Essen/Naschen kann bei längeren Fahrten auch nicht schaden, es sollte jedoch geruchsneutral, praktisch und handlich sein sowie kein Auslauf/Kleckerpotenzial haben.
Störungen im Betriebsablauf
"Wenige Minuten" ist bei der Bahn eine sehr dehnbare Zeitspanne, die auch mal mehr als eine Stunde einschließen kann. Eine Erklärung, warum der Zug dann plötzlich auf freier Strecke hält oder eben nicht aus dem Bahnhof fährt, bekommt man selten und wird gerne per Durchsage mit "Verzögerungen/Störungen im Betriebsablauf" erklärt.
Spricht man die Schaffner an, bekommt man jedoch manchmal sogar ausführliche und lustige Antworten, wie ich mal zwischen Kassel und Würzburg erfahren habe. Bei etwas über 200 km/h machte der Zug plötzlich eine Vollbremsung. Einige Gepäckteile segelten nach unten, aber keinem war etwas passiert. Als der Schaffner nach dem Rechten sah, fragte ich ihn was los war. Er beugte sich ein wenig zu mir herunter, grinste und sagte "Erzählen Sie das bloß keinem weiter, aber wir haben keinen Strom mehr, daher sind die automatischen Bremsen angesprungen ..."
Obwohl oftmals Prellbock für den Unmut der Reisenden nehmen manche Schaffner kritische Situationen auch durchaus mit Humor. Nach einem ungewollten eineinhalb Stunden-Aufenthalt in Fulda, an dem sich der hintere Triebkopf verabschiedet hatte und der arme Lokführer den gesamten Zug entlang laufen musste, erreichte uns die Durchsage: "Liebe Reisende. Schön, dass Sie uns erhalten geblieben sind. Wir haben uns nicht versteckt, wir sitzen hier und füllen Ihre Verspätungsformulare aus, die wir Ihnen in Kürze verteilen."
Tipp bei Durchsagen mit Aktionscharakter
Nicht immer auf Durchsagen hören und ggf. hektisch Züge wechseln - das machen dann alle - sondern einfach mal abwarten und Situation beaobachten. Normalerweise wird alles getan, um den Zug wieder flott zu bekommen.
Entspannt euch!
Wenn meine Bahnfahrten mich eines gelehrt haben: Aufregen bringt nix, man kann eh nichts tun. Eile mit Weile. Ein kleines Erlebnis bei Würzburg hat
das sehr schön unterstrichen. Wir warteten schon geraume Zeit auf die Einfahrt in den Bahnhof, als wir von einer Dampflok (!) überholt wurden. Da sitzt man im Prestige-Schnellzug deutschlands
schlechthin und wird von einem ruhig dahin dampfenden Walross abgehängt ...
Gleise bitte nicht betreten
Als Kind hat man mir eingeschärft: "Geh nicht über die Gleise!" Der Herr im Video ist zwar Bahnmitarbeiter und darf das, es zeigt trotzdem, warum man sich besser daran halten sollte...
Quelle: www.youtube.de, Nix für schwache Nerven Arbeiter 2x fast vom Zug erwischt, hochgeladen von MrFunVideo