Ein Stück "Moderne" im kleinen Dorf

Ob ein Haus im modernen Stil wie das "Wohnhaus G" in einen kleinen Ort am Rande der Oberpfalz passt, darüber gibt es unterschiedliche Meinungen. In jedem Fall ist die Umsetzung geglückt, denn die Familie hat ihr Zuhause gefunden und fühlt sich rundum wohl. Fotos: Erich Spahn/Berschneider+Berschneider

Auf dem Ortsausgangsschild, hinter der die von Feldern flankierte Landstraße weiter zur nächsten Ortschaft führt, steht kein durchgestrichenes "Brünn", sondern der Name eines knapp 60-Seelen-Dorfs in der Gemeinde Neumark in der Oberpfalz. Trotzdem werden sich Architekturkenner und Fans der Moderne verwundert die Augen reiben, wenn sie hier an dem letzten Haus vorbei fahren, so sehr ähnelt es im ersten Moment der "Villa Tugendhat" aus der Feder des wahrscheinlich bekanntesten Architekten der Moderne: Ludwig Mies van der Rohe. Am prägnantesten fällt von der Straße aus gesehen die riegelartige Bungalowoptik mit Flachdach auf, während das Haus seine wahre Größe erst gartenseitig offenbart. Und es gibt noch weitere markante Details, die Assoziationen aufkommen lassen: Zum Beispiel Lage und Größe der Fensterfront samt Ausführung der Jalousien; die Dach- und Geschossüberhänge, mit denen geschützte Plätze geschaffen wurden, wie auch das Spiel mittels kubischer Vor- und Rücksprünge. Wer jetzt an eine gewollte Anlehnung oder gar neuzeitliche Kopie des bekannten Gebäudes denkt, der liegt jedoch gänzlich falsch. Vielmehr waren es die örtlichen Gegebeneheiten mit der Hanglage und den Wünschen des Bauherrn, die zu der Architektursprache von "Haus G" führten, das Berschneider+Berschneider Architekten umsetzten.


Kopie? Von wegen!

"Den Wunsch zu bauen hatte ich bereits vor sieben oder acht Jahren. Ich wollte endlich eine Heimat und einen richtigen Rückzugsort für meine Familie schaffen", erläutert Stefan Grasenhiller. Schon damals baute er zwei grobe Modelle seines Traumhauses. Selbst als Unternehmer in der Einrichtungsbranche tätig konnte er seinen Wünschen und Vorstellungen nicht nur in dieser Form Ausdruck verleihen, auch der Kontakt zu den Architekten bestand dadurch schon mehrere Jahre. "Der Stil von Berschneider+Berschneider spricht genau unsere Sprache, und es gibt meines Erachtens wenige Architekten, die so ganzheitlich planen. Das Team denkt schon in der Entwurfsphase an den zukünftigen Tagesablauf", unterstreicht er, warum er neben dem bestehenden Kontakt genau jene Architekten mit der ausführlichen Gesamtplanung betraute. Ebenso zielgerichtet verlief die Auswahl des Grundstücks. Auch wenn es viel Kopfschütteln von Familie und Freunden gab, wie man eine zentale Lage in der Stadt aufgeben kann, war die Prämisse eindeutig: raus aufs Land! "Wir haben speziell in dieser Gegend gesucht, weil wir schon lange in der Region gewohnt haben und uns dort wohlfühlen, wollten aber definitiv ein gewachsenes grünes Umfeld", so der Bauherr. "Und so weit draußen ist es ja auch nicht. Mit dem Auto sind wir in etwa zehn Minuten in der Stadt", setzt er hinzu.


Wie die Zeit vergeht

Der Bau verlief relativ schnell und unspektakulär, was unter anderem am guten Verständnis zwischen Bauherr und Architekten lag und den darauis resultierenden kurzen Absprachen. "Zudem war die Zeit, in der wir gebaut haben, sehr günstig, weil es von Frühjahr bis Herbst fast keine Feuchtigkeit gab und wir somit wenig Trocknungszeiten hatten", freut sich Stefan Grasenhiller. So konnte die Familie schnell ihr Haus beziehen, das durch die weitsichtige Grundrissgestaltung nicht nur jetzt optimale Wohnvoraussetzungen bietet, sondern auch später. Denn das auf Straßenniveau liegende Obergeschoss wurde bewusst als eigenständige, altersgerechte Wohneinheit konzipiert, indem hier neben den großzügigen, offenen Gemeinschaftsbereichen auch Schlafzimmer und Elternbad untergebracht wurden. Im Untergeschoss hingegen liegen zwei zum Garten geöffnete Kinderzimmer, ein großes Dusch-WC mit angrenzender Sauna und entlang der gesamten Rückseite am Hang zieht sich ein Hauswirtschaftsraum. "Noch sind unsere Mädels mit vier und sieben Jahren klein. Indem sie unten ihr eigenes Reich haben, umgehe ich aber schon mal, dass später einer von deren Freunden mein Bad blockiert", erläutert der Bauherr mit einem Augenzwinkern.


Durchgeplant

Was die Gestaltung der Innenräume angeht war klar: "Für uns muss ein Haus praktisch sein. Das beinhaltet neben sinnvoll installierten Steckdosen und Schaltern natürlich auch nutzbaren Stauraum." Diese Disziplin wurde mit Bravour gelöst: Ein Großteil der Möbel wurde von den Architekten von vornherein mit eingeplant und integriert. Sitzgelegenheiten und Regalelemente flossen darin ein, die in Kombination mit Farben und Materialien ein abwechslungsreiches Bild entstehen lassen, ohne den durchgängigen, aufgeräumten Gesamteindruck zu stören. Im Küchenbereich wird die strukturierte und detailorientierte Ausrichtung dabei besonders deutlich, denn hier wurde die Decke abgehängt, um eine indirekte Beleuchtung zu schaffen und die Dunstabzugshaube nahtlos einzugliedern. "Ich bin etwa 1,90 m groß, nun muss ich beim Kochen endlich nicht mehr auf dieses Ding schauen", ist Stefan Grasenhiller begeistert. Die Auswahl der Materialien war für das Paar eher pragmatisch:" Wir haben zwei kleine Kinder. Da waren robuste Materialien wichtiger statt exklusiver Schick." Dass sich beides nicht ausschließen muss, zeigt das Ergebnis. Der sandfarbene Steinboden und der warme Eichenboden harmonieren wunderbar mit dem braunen Vliesbezug der gepolsterten Sitzecken und dem durchgefärbten weißen Schichtstoff der Küchen- und Schrankverkleidungen.


Praktisch durch und durch

Ergänzend zum praktischen Ansatz des Hauses durfte natürlich auch eine zeitgemäße Haustechnik nicht fehlen: Die Bauherren entschieden sich für eine energetisch effiziente Erdwärmepumpe. "Das mit der Erdwärme gefiel uns sehr gut, denn das installiert man einmal und muss sich dann nicht mehr darum kümmern wie zum Beispiel bei Pellets. Aber die erste Stromrechnung war ein Schock", erinnert er sich. Glücklicherweise war das Dach bereits für eine Photovoltaikanlage vorbereitet, die dann etwa ein Jahr später nachgerüstet wurde. "Seitdem erzeugen wir 80-90 Prozent unseres Stroms selbst und sind damit relativ autark", ist er heute nicht nur mit dem Energie-, sondern überhaupt mit dem Gesamtkonzept zufrieden. "Unabhängig vom materialistischen Gedanken ist das Haus sehr schön geworden, denn es kommt schließlich auf die Menschen an, die darin leben - und die fühlen sich mehr als wohl!"


 

 

"Das ,Haus G` - Architektur und Innenarchitektur aus einem Guss." Johannes und Gudrun Berschneider


Erschienen in "casamia" 1/2014

Mit freundlicher Genehmigung von casamia und Berschneider+Berschneider Architekten