Very British

Die Engländer waren bisher nicht unbedingt für ihre energiesparende Bauweise bekannt. Einen beispielhaften Vorreiter wie das "Moonstone"-Haus mit knapp 1.500 m² Wohnfläche, das sich vollständig selbst versorgt, vermutet man daher nicht gerade mitten in der idyllischen "Rosamunde Pilcher"-Landschaft. Fotos: Schlüter Systems

Costwolds ist eine der malerischsten Landschaften in England. Bekannte Städte wie Bath oder Orte wie Cheltenham liegen in den dazugehörigen Grafschaften. Der örtliche Kalkstein prägt die Häuser und verleiht ihnen den typischen "englischen" Charakter, der bei den Einheimischen ebenso beliebt ist wie bei Besuchern aus der ganzen Welt und damit auch schon einigen Rosamunde-Pilcher-Verfilmungen als Kulisse diente. In die Landschaft mit ihrem saftigen Grün und den sanften Hügeln schmiegt sich auch das "Moonstone"-Haus von John Croft, das so ganz anders ist. Doch bis das Haus hier seinen Platz fand, war es ein langer Weg, denn die einmalige Landschaft ist als AONB-Bereich (Area of Outstanding Natural Beauty) klassifiziert, also als "Gebiet von außerordentlicher natürlicher Schönheit". Hier eine Baugenehmigung zu bekommen, ist kein leichtes Unterfangen, normalerweise sogar unmöglich.


Kampf um die Genehmigung

"Acht Jahre haben die Vorbesitzer bersucht, hier eine Baugenehmigung zu bekommen. Immer ohne Erfolg", erinnert sich John Croft, der Bauherr des Projekts. Für ihn war es nicht einfacher, auch er musste das spezielle Baukomitee von seiner Idee überzeugen - zumal er auch kein "normales" Haus, sondern ein "Positive Energy House" bauen wollte, das mehr Energie erzeugt, als es verbraucht, völlig autark ist und dabei eine moderne Architektursprache hat. Er suchte also nach lokalen Planern, die Machbarkeitsstudien und einen Entwurf anfertigen sollten, um frühzeitig mit allen Beteiligten den Dialog zu suchen. Das Ergebnis war niederschmetternd: Nur zwei von 20 Büros waren dazu bereit. Er entschied sich für Mike Hope vom Büro Roderick James Partnership. "Mike entwarf recht zügig vier einzigartige Designs an verschiedenen Stellen des Grundstücks, wobei wir uns sofort in ,Design D` verliebten", erläutert John Croft. Es war der Entwurf, bei dem sich das Gebäude den Hügel hinauf in den Hang hinein schob sowie drei Grad abgewinkelte Bruchsteinmauern und Metalldächer ähnlich einer niederländischen Scheune hatte.

"Der Entwurf gefiel auch dem Planungskomitee und so machten wir uns an die detaillierten Pläne", erläutert der Bauherr. Doch dann wurde das Komitee nach neun Monaten umbesetzt und die Chancen auf eine Genehmigung kehrten sich ins Gegenteil. Mit diesen Aussichten warf der Architekt das Handtuch. Er empfahl jedoch Cameron Scott von Timber Design, falls das Projekt trotzdem fortgeführt werden sollte. "Das war unsere Rettung, denn Cameron setzte das Projekt in 3-D um", erklärt der Bauherr. Diese Visualisierung zeigten sie in einem nahegelegenen Pub den Nachbarn und plötzlich stand John Croft nicht mehr alleine dem Komitee gegenüber, sondern hatte Unterstützung. "Wir bekamen die Genehmigung mit neun zu zwei Stimmen", freut sich der Bauherr. Nach zwei Jahren des Planens und Wartens konnte das Projekt endlich starten.


Der Bau

Für den Bau mussten nicht nur alte Bestandsgebäude auf dem Grundstück abgerissen werden: Da der Entwurf einen Einschub in den Hang vorsah, musste dieser auch erst abgetragen werden. "So ,grün` wie das Haus sollte dabei auch der gesamte Bauablauf sein und so viel wie möglich recycelt werden", erläutert John Croft. Auf dem Grundstück entstand daher ein kleiner Steinbruch, der mit seinen Maschinen zum Abbau, Sortieren und Kleinstampfen einem kommerziellen Gelände ähnelte. 1.200 t des abgebrochenen, typischen Costwolds-Bruchsteins wurden gesammelt und für die 1 m dicken Mauern des Hauses sowie auch für das Gelände und die Auffahrten verwendet. Da es ein Haus im Passivhausstandard werden sollte, das dazu noch völlig autark, also unabhängig von jeglichen fossilen Brennstoffen sowie von Trink- und Abwasserleitungen funktionieren sollte, waren die Anforderungen an Dämmung, Abdichtungen und Materialien entsprechend hoch. "Für die Bodenplatte haben wir zum Beispiel einen speziellen, wasserfesten Beton gießen lassen und die 1 m dicken Bruchsteinmauern sind zusätzlich mit Polystyrol verfüllt", sagt John Croft. Die Kontakte zu den beteiligten Firmen hat der Bauherr, der während der Bauphase stets vor Ort war und tatkräftig mit angepackt hat, selbst hergestellt. Bei vielen handelte es sich um lokale Unternehmen, aber auch deutsche Firmen waren dabei. Zum Beispiel Becker & Sohn, die die Fenster und Vorhangfassaden lieferten, oder Schlüter-Systems, die das extradünne Fußbodenheizsystem "Bekotec-Therm" einbauten. Während die handwerklichen Arbeiten zumeist sehr gut ineinandergriffen, erschwerten einige andere Dinge den Baufortschritt, sodass die gesamte Bauzeit knapp vier Jahre in Anspruch nahm. "Das Hochwasser in New Orleans trieb den Rohpreis für Kupfer in die Höhe, das wir für das Dach brauchten. Und dann gab es auch einige Diebstähle. Der Erste warf uns ganze zehn Monate zurück, weil die Planungsunterlagen gestohlen wurden. Da hieß es dann erst einmal zurück ans Reißbrett", erinnert sich John Croft. 


Vorreiterrolle

Entstanden ist allen Widrigkeiten zum Trotz ein einzigartiges Haus, das eine Vorreiterrolle in Sachen energieoptimiertes Bauen einnimmt. Nicht nur in England, sondern international, denn es übertrifft sogar die wesentlich höheren Standardwerte in Deutschland. Zudem ist das Haus wirklich absolut autark. Nicht nur in Bezug auf Wärme und Strom, die über Rehau-Erdwärmesonden und Solarpaneele selbst erzeugt werden, sondern auch in Bezug auf Frisch- und Abwasser. Dazu wird das Regenwasser auf dem Grundstück, dem Dach und dem Infinitypool am Ende des Gebäudes gesammelt und aufbereitet; ebenso wie das Abwasser, das eine spezielle Konstruktion aus vertikalem Reet durchläuft. Eine "Aquatron worm biogester"-Einheit wandelt alle festen Abfälle aus Küche und WC in Kompost für den Garten um.

Dem Haus selbst sieht man diese "grünen" Faktoren nicht an. Es fügt sich aufgrund der vewrwendeten Materialien undd des geschwungenen Dachs wunderbar in die Landschaft ein, kann seine moderne architektonische Ausrichtung innen wie außen jedoch nicht verleugnen. "Das Haus ist viel zu groß", schmunzelt John Croft. Insgesamt hat es etwa 1.500 m² Wohnfläche. Aufgrund der Hanglage sind die Etagen jedoch abgestuft und im direkten Hangbereich als Split-Level angelegt, sodass das gesamte Gelände weitaus weniger wuchtig aussieht. Jeder der vier Ebenen ist eine bestimmte Funktion zugeordnet, deren Basis das im Erdboden liegende Kellergeschoss mit einem großen Kinosaal bildet. Im Erdgeschoss sind dann die Schlafzimmer und private Rückzugsbereiche untergebracht, während im ersten Obergeschoss die gemeinsam genutzten Bereiche mit Koch-, Wohn- und Essbereich folgen. Als Abschluss folgt eine große Loungeebene mit Dachterrasse. "Das ist unser aller Lieblingsplatz, denn von hier oben haben wir eine wahnsinnig tolle Sicht über das gesamte Tal. Wir können das Wetter kommen sehen und heimische Tiere wie Fledermäuse, Vögel und Hirsche beobachten. Wir sind sehr glücklich hier", schließt John Croft ab.


Erschienen in "casamia" 4/2013

Mit freundlicher Genehmigung von casamia und Schlüter Systems